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Schatten der Vergangenheit

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Veröffentlich am: 17.07.2019, 18:05 Uhr
Aron Dario Lucero saß mit übergeschlagenen Beinen am Küchentisch und beobachtete Nanny, eine etwas dickliche Tauren dabei, wie sie ihren berühmten Nussstollen aufschnitt. Der wunderbare Duft nach gerösteten Nüssen und frischem Kaffee hatten ihn in die heimelige Küche gelockt und nun saß er dort, das Kinn auf die langen, schwarz gefärbten Nägel gestützt und wartete brav auf seine Portion.

Nicht, das er noch besondere Freude an derartigen Genüssen hatte, seit er als einer der Verlassenen aus seinem Grab gekrochen war. Jedoch wusste er die Bemühungen der Tauren sowie die Erinnerung an ein früheres Leben durchaus zu schätzen.

Dario war groß gewesen für einen Menschen. Sein Körper war eine Waffe, in mehrerlei Hinsicht. Durchtrainiert, muskulös soweit es sein musste, aber dennoch schlank. Das lange, schwarze Haar fiel offen über seinen Rücken und rahmte ein Gesicht ein, das ehemals von aristokratischer Schönheit gewesen sein musste. Die goldenen Augen, die unter schläfrigen Lidern hervorblickten hatten nichts von ihrem Glanz verloren. Der Rest jedoch... nun. Seine Haut spannte sich über die hohen Wangenknochen und wirkte wie trockenes Pergament. Auf der hohen Stirn war sie teilweise eingerissen. Auch die markanten Kiefer waren nicht mehr gänzlich bedeckt und das knöcherne Weiß schimmerte matt durch die dünne, poröse Schicht.

Der schwarze Anzug, den er trug, hatte wohl einmal perfekt gesessen und auch das weiße Seidenhemd, das nun eher grau war, musste einmal sündhaft teuer gewesen sein. Nun schlackerten die Stoffe etwas um seine langen Glieder und waren durch Nässe und Schimmel sichtlich mitgenommen. Trotz des morbiden Anscheins strahlte Dario noch immer eine unheimliche Anziehungskraft aus. Er bewegte sich mit einer natürlichen, raubtierhaften Eleganz und seine Stimme hatte noch immer dieses heisere, verführerische Timbre, auf das die Ladys zuverlässig mit glasigen Blicken reagiert hatten.

Wenn er es darauf anlegte, brauchte er gewöhnlich nicht mehr als eine Stunde, um eine dieser aufgetakelten Damen zu verführen. Und nicht mehr als zwei, wenn er es nicht darauf anlegte. Angelegt hatte, musste man nun richtigerweise wohl sagen, denn diese Zeit war wohl unweigerlich vorbei. Reihenweise hatte er sie betört, hatte ihren Gatten die Hörner aufgesetzt und sie mit List und Tücke um ihr Vermögen gebracht. Ein beträchtliches Vermögen war seinerseits dabei zusammen gekommen und er hatte es in ganz Azeroth in unterschiedlichsten Unternehmen lukrativ angelegt. Ein Vermögen, das er nun nicht einmal mehr genießen konnte. Jegliche Leidenschaft war ihm wohl in jenem nasskalten Loch abhanden gekommen, in dass man ihn geworfen hatte.

Das Klappern von Geschirr riss ihn aus seinen trüben Gedanken, als Nanny ihm mit etwas eingeschüchtertem Blick einen Teller und eine Tasse Kaffee vor die Nase setze. "Danke, meine Liebe." sagte er und griff nach einem Stück Nussstollen. "Du bist ein Schatz." Die Verlegenheit mit der sich die Köchin die Hände an der Schürze abwischte und die Freude über seine beiläufige Freundlichkeit, die sie zu verbergen suchte, indem sie sich rasch wieder ihrer Arbeit widmete, überraschten ihn und ein winziges Lächeln lies seine Mundwinkel nach oben zucken. "Nunja... " dachte er bei sich. "Vielleicht hatte dieses untote Leben ja doch noch die ein oder andere Zerstreuung zu bieten. Man würde sehen."


[in Anlehnung an eine meiner Lieblingsromanfiguren in einem anderen Universum. Wer die Quelle der Inspiration erfahren möchte, möge mir gern schreiben.]

Zuletzt bearbeitet am: 24.07.2019 21:41 Uhr.