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Lysinaes Geschichte

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Veröffentlich am: 14.10.2011, 20:15 Uhr
Lysinae saß ruhig auf dem Steg am See von Darnassus und ließ ihre Füße ins Wasser baumeln. Sachte wiegte sie sich zu einer Melodie hin und her, die sie leise vor sich hin summte, während ihr kleiner Nachtsäbler Arlan neben ihr lag und zufrieden schnurrte. Die Melodie erinnerte Lysinae an ihren Vater, der sie ihr immer vorgesummt hatte, wenn es ihr schlecht ging oder sie Angst hatte – damals, als sie noch jung war.
Lysinae wuchs im Eschental auf. Sie und ihr Vater wohnten in einer kleinen Hütte in der Nähe von Astranaar. Oft kam Lysinae in das Dorf, um Sachen einzukaufen oder sich mit den Leuten zu unterhalten, auch wenn sie nicht sehr gesprächig und eher in sich gekehrt war. Am Anfang ging sie immer mit ihrem Vater, doch als sie älter wurde, ließ er sie auch alleine gehen, was sie natürlich ausnutzte um auch die nähere Umgebung zu erforschen. Schon früh entdeckte ihr Vater ihren Hang zu den Tieren des Waldes, eines Tages kam Lysinae sogar mit einem Wolf nach Hause, der ihr zu gehorchen schien. Ganz stolz präsentierte sie ihrem Vater, wie gut der Wolf auf sie hörte. Daraufhin nahm er Lysinae immer öfter mit zur Jagd und brachte ihr den Umgang mit dem Bogen bei. Sie lernte schnell und war ein Naturtalent im Schießen und Fallen legen. Schon bald wusste sie, wie man erfolgreich die Spuren der Tiere lesen konnte, welche Spur zu welchem Tier gehörte und auf was man bei der Jagd achten musste. Sie lernte, wie man sich die Tiere des Waldes zu Verbündeten machen konnte, wie man Pfeile präparierte um verschiedene Wirkungen zu erzielen, ja sogar das Tarnen in verschiedenen Umgebungen, um vor dem Blick möglicher Gegner gefeit zu sein.

Viele Jahre später war es dann soweit. Der Tag, der alles veränderte, traf ein. Lysinaes Vater hatte sie nach Astranaar geschickt, um ein paar Besorgungen zu machen. Als sie nach Hause zurückkehrte, war die Hütte leer. Nur ein Zettel lag auf dem Tisch – ein Brief ihres Vaters.

Meine liebe Tochter,
wenn du dies liest, bin ich bereits auf dem Schiff in die östlichen Königreiche. Es tut mir
unendlich Leid, dich so verlassen zu müssen, doch es gab keinen anderen Weg. Ich möchte
nicht, dass du mir folgst oder versuchst mich zu finden. Du wirst deinen Weg gehen, genauso wie ich jetzt meinen Weg gehen muss. Du bist alt genug, um dich in die Dienste von Elune zu stellen. Sie wird deinen Weg erleuchten.
Ich möchte, dass du nach Teldrassil reist. Dort wirst du einen alten Freund von mir
finden, der dir weiter helfen wird. Keine Sorge, er kommt auf dich zu. Vertraue ihm.
Eines Tages wirst du in meine Fußstapfen treten – schon bald wirst du verstehen. Ich habe
dir etwas in der Kiste unter dem Fenster gelassen. Es ist für dich. Bitte nehme es an und
verspreche mir, gut darauf aufzupassen, es wird die Zeit kommen, da wirst du es brauchen.
Ich bin sehr stolz auf dich und ich bin mir sicher, deine Mutter wäre es auch, würde sie noch
leben.
Wir sehen uns wieder, wenn die Zeit gekommen ist,
Dein dich über alles liebender Vater

Lysinae stand wie angewurzelt am Tisch, den Brief in ihren Händen haltend. Immer und immer wieder las sie die Worte ihres Vaters. In ihrem Kopf herrschte plötzlich eine eisige Leere, sie konnte weder einen klaren Gedanken fassen, noch wirklich verstehen was gerade passiert ist. Dann ging sie wie in Trance zu der Kiste von der ihr Vater sprach und öffnete sie. Was sie dort sah, raubte ihr den Atem. Es war der Bogen ihres Vaters – Rohk'Delar, Langbogen der uralten Bewahrer. Der Bogen, der die Dämonen Atrorius, Klinfran, Simone und Solenor vernichtete, dessen Sehne aus den Fasersträngen der Drachen Azuregos und Onyxia gefertigt war, das Holz lebendig und voller Macht, umschlungen von kleinen grünen Ranken, aus denen kleine Blüten wuchsen.
Er schimmerte sanft im dämmrigen Licht und schien keinerlei Makel aufzuweisen.
Lysinae nahm den Bogen an sich, ein Kribbeln durchfuhr ihren Körper. Wie von Geisterhand schrumpfe der Bogen ein Stück, um sich ihrer Größe anzupassen. Sie zog an der Sehne, die das Holz geschmeidig durchbog, ohne jeglichen Widerstand. Dann legte sie den Bogen auf den Tisch und widmete sich wieder der Kiste zu. Dort lag noch ein Köcher, gefüllt mit den feinsten Pfeilen, die sie je gesehen hatte. Sie waren vollkommen im Gleichgewicht, die Befiederung gerade angeordnet, das Gewicht der Spitze perfekt ausbalancierend. Der Köcher bestand aus einem riesigen laminiertem Blatt, fein verziert mit kleinen goldenen Ornamenten. Lysinae legte ihn zum Bogen, denn in der Kiste lag noch etwas... Eine Rüstung. Rot-golden glänzte sie, als Lysinae die Teile langsam aus der Kiste hob und betrachtete. Als sie sie anprobierte, schien sie perfekt auf sie zugeschnitten. Jedes Teil passte und schmiegte sich an ihren Körper wie eine warme Decke.
Dann bemerkte Lysinae einen kleinen Zettel am Boden der Kiste.

Gehe zum Grab deiner Mutter, finde den Stab, nur er wird die wahre Macht des Bogens
zum Vorschein bringen. Erweise dich als würdig und suche Vartrus – er wird dir Antworten geben können, nach denen du suchst. Auch über deine Mutter...

Ohne Umschweife schnappte sich Lysinae den Bogen, schwang den Köcher um und machte sich auf zu dem Grab... Was hatte das alles zu bedeuten...? Als würdig erweisen? Wofür? Und wer in aller Welt war Vartrus?

Lysinae erwachte aus ihren Gedanken. Ihre Füße waren mittlerweile eiskalt und da es bereits dunkel wurde, ging sie zurück zur Unterkunft der Tempelwache. Bevor sie sich schlafen legte, warf sie noch einen Blick auf die Truhe vor ihrem Bett. In ihr lag alles, wie sie es gelassen hatte: Der Bogen, Köcher und die Rüstung. Der Stab schimmerte sanft unter ihrem Bett. Sie hatte die Sachen seit dem Verschwinden ihres Vaters nicht wieder angerührt – zu viel Angst hatte sie vor der Bürde, die darauf lasteten. Doch wusste sie genau, dass sie es nicht mehr lange hinausschieben konnte.
Ihre Kommandantin und die Priester-Novizin Amaranth wussten nichts davon, sie hatte die Sachen heimlich in die Unterkunft geschafft. Sie hatte keine Lust auf unnötige Fragen und Erklärungen und würde den richtigen Moment abwarten.
Morgen sollte es eine Weihung geben, vielleicht war das der passende Moment. Denn sie konnte nicht in ihrer alten Lederkleidung aufkreuzen, so viel war klar. Und Gold für neue Kleidung hatte Lysinae keines. Es blieb ihr also keine Wahl. Sie könnte ja den Bogen in der Unterkunft lassen, es musste ja niemand wissen, dass sie ihn besaß. Und die Rüstung... Nunja, sie konnte ein Geschenk sein, oder ein altes Erbstück? Ja genau! Niemand wird dann noch weiter fragen.
„Das wird nicht gut enden...“, murmelte Lysinae und legte sich ins Bett, morgen würde wieder ein schwerer Tag werden, sie musste für ihre weitere Ausbildung ausgeruht sein...
Sie fiel in einen unruhigen Schlaf voller wirrer Träume von lebenden Bögen, die penetrant und unverständlich auf sie einredeten, Dämonen die ihre kalten Hände nach ihr ausstreckten, einem dunklen Tunnel, an dessen Ende eine Frau stand... Sie streckte ihre Hand aus, doch Lysinae konnte sie nicht erreichen. Die Dämonen zogen sie fort, tief in die Dunkelheit. Schreie. Der Geruch von Blut. Und dann – Stille. Nur noch das schwache Wimmern der jungen Jägerin hallte gedämpft durch die Unterkunft...