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Der Dämon und das Mädchen

AutorNachricht
Veröffentlich am: 17.08.2011, 22:29 Uhr
(Dies ist zwar keine WoW-Geschichte, aber ich dachte, ich poste sie hier mal :) Die hab ich für nen Sacred 2 - Kurzgeschichtenwettbewerb geschrieben und hab damit den zweiten Platz gemacht)

Verzweiflung, Schmerz und Hass. All das fühlte Marquis im Moment.
Seit nun mehr tausend Jahren hatte er jede Nacht denselben Alptraum. Jede Nacht sah er vor seinem geistigen Auge, wie seine große Liebe sich für ihn opferte, damit er weiterleben konnte. Er spürte ihre sanfte Stimme, als sie ihm sagte, dass sie sich wieder sehen. Er hörte voller Grauen, wie die Schwerter der Seraphim in das Fleisch einer ihrer Eigenen schnitten. Er sah das viele Blut.
Doch am Ende erwischten die Seraphim auch ihn und verbannten ihn zurück in die Unterwelt. Das Opfer seiner Liebe war umsonst. Jeder Gedanke an Ariviel, in die er sich im großen Krieg gegen die Seraphim verliebt hatte, war wie ein weiterer Dolch, den man in sein schwarzes Herz stach. Wer hätte damals geglaubt, dass sich ein Dämon und eine Seraphim lieben könnten? Doch sie bewiesen allen das Gegenteil, und flohen vor dem Krieg, der dabei war, ganze Welten zu vernichten. Aber am Ende holte sie das Schicksal doch noch ein. Noch immer hallten ihre letzten Worte durch Marquis Kopf: In Freiheit sehen wir uns wieder. Dann streckten ihre eigenen Schwestern sie nieder und damit alles, für was Marquis bis zu diesem Zeitpunkt gekämpft und gelebt hatte.
Schweißgebadet schreckte er hoch. Noch benommen von dem schrecklichen Alptraum sah er sich langsam um. Er fragte sich, ob er nicht von einem Alptraum in den nächsten aufgewacht war, als seine Gedanken langsam wieder zur Gegenwart zurückdrifteten. Er lag auf einer Steinplatte am Rande eines Abgrundes, der viele Meilen weit nach unten ging. Der Boden des Abgrundes bestand aus dem Höllenfeuer selbst, dessen gewaltige Hitze noch bis hier oben zu spüren war. Der Geruch von Schwefel lag in der Luft und das flackernde, orange Licht ließ an den Steinwänden der schier unendlich großen Höhle geisterhafte Schatten tanzen. Die Decke ihres Gefängnisses erstreckte sich über Marquis wie ein endlos grauer Himmel.
Langsam stand der Dämon auf und rieb sich dabei seinen Kopf. Der bittere Nachgeschmack seines Alptraumes würde für die nächsten Stunden bleiben. Als er sich weiter umsah, viel ihm etwas sehr ungewöhnliches auf. Es schien, als wären alle Dämonen, Monster und Missgeburten der Hölle auf den Beinen und liefen, flogen oder krochen wie besessen (bei einigen zählte das nicht nur im wörtlichen Sinn) einem sehr hellen leuchten entgegen. Es drang von weiter oben zu ihm.
„Marquis!“, rief plötzlich eine vertraute Stimme. Marquis drehte seinen Kopf nach links und sah einen niederen Dämon völlig aus dem Häuschen auf sich zu rennen. Er war am ganzen Körper rot und hatte Beine wie eine Ziege. Zwei Hörner ragten aus seinem Schädel und schlängelten sich über seinen Kopf nach oben. Er hatte ein altes, abgenutztes Schwert in der Hand.
„Cyrus“, sagte Marquis, als sein alter Freund vor ihm stand. „Was geht hier vor?“
Cyrus schenkte ihm einen verwirrten Gesichtsausdruck und antwortete mit einem grinsen: „Du hast keine Ahnung, oder?“ Marquis verzog eine Augenbraue.
„Bei den Chaosgöttern! Marquis!“ Der rote Teufel packte den verwirrten Marquis an den Schultern und schüttelte ihn. „Shaddar ist tot! Er ist gefallen! Durch sein Ableben entstand ein riss zwischen den Welten! Wir sind frei! Wir sind endlich frei!!“ Hysterisch lachend lief er an dem verdutzten Marquis vorbei dem Steinpfad folgend nach oben auf das Leuchten zu. Weitere Dämonen und Ungetüme stürmten ihm hinterher und bogen von verschiedenen Steinbrücken, welche sich kreuz und quer über den riesigen Abgrund spannten, auf den Steinpfad ein. Noch mehr Abscheulichkeiten quollen aus Öffnungen in der Höhlenwand und schlossen sich ihren Brüdern und Schwestern an.
„Frei…“, sagte Marquis. In Freiheit sehen wir uns wieder. Die letzten Worte Ariviels schossen durch seinen Kopf und ohne eine weitere Sekunde zu zögern, breitete er seine Schwingen aus und reihte sich in den Strom abertausender Dämonen ein. Er flog immer höher. Er warf keinen Blick zurück in die Welt, in der er Äonen verbracht hatte, gequält von Alpträumen und der leere in seinem Herzen. „FREI!“, schrie er, als er dem hellen Riss im Steinhimmel ihres Gefängnisses immer näher kam. Doch sein Schrei ging unter tausend anderen unter.
Und dann brachen sie durch den Riss, in die Welt, die Ancaria genannt wurde. Die Bewohner dieser Welt hatten keine Chance, dem Ansturm der Dämonen auch nur eine Sekunde lang stand zu halten. Zu frisch waren die Wunden, die der letzte Kampf gegen das Böse verursacht hatte. Wie eine tödliche Flut begruben die Wesen aus der Unterwelt innerhalb weniger Stunden die Einöde von Shaddar-Nur und die Wüste von Khorad-Nur. Die Orks leisteten erbitterten Widerstand, aber nur wenige überlebten länger als eine Minute. Die Dämonen brachten alles um, was sich ihnen in den Weg stellte. Ob Frau oder Kind. Sie sollten alle dasselbe Schicksal erleiden, welches sie ihnen zugefügt hatten.
Ein Dämon aber, nahm nur am Rande Notiz von dem blutigen Gemetzel, das ihn umgab. Marquis landete mit wutverzerrtem Gesicht in einem kleinen Dorf an der südlichsten Grenze des Reiches in mitten seiner kämpfenden und mordenden Brüder. Welch Narr er doch war! Hatte er doch tatsächlich geglaubt, Ariviel würde ihn auf der anderen Seite des Risses empfangen. Voller Zorn über sich selbst, packte er sich den nächsten Menschen und riss ihm den Kopf ab. Blut schoss daraus empor und befleckte Marquis ansonsten blaue Haut und sein weißes Haar. Mit einem Schrei der die Grundfesten des Himmels erbeben lassen würde, stürzte sich der Dämon auf die nächsten Menschen, die versuchten, sich ihm in den Weg zu stellen. Blutrausch überkam ihn, der jegliches Denken komplett ausschaltete. Marquis wollte nur noch seinen Rachedurst stillen.
Er wütete stundenlang, verschonte dabei weder Frau noch Kind. Die stärksten Krieger stellten sich ihm mit mannsgroßen Äxten in den Weg, doch Marquis wischte sie hinfort, wie die Stürme im Herbst das tote Laub von den Straßen fegten. Aber es war lange her, seit Marquis das letzte Mal die Farbenpracht des Herbstes mit seinen Augen sehen konnte. Dieser Gedanke gab seiner brennenden Wut noch mehr Nahrung. Der nächste Ritter, welcher vor ihm mit einem Speer umherfuchtelte, musste das zu spüren bekommen. Sein Kopf flog noch über fünf Häuser hinweg, ehe er durch das Fenster des sechsten Hauses krachte und polternd über den Boden schlitterte, bis er im Kamin zum erliegen kam.
Weitere Krieger stellten sich ihm in den Weg. Magier bombardierten ihn mit Feuerzauber, aber er schüttelte alles ab, was auf ihn geworfen wurde. In seinen Händen knackten die Knochen seiner Angreifer wie trockenes Holz. Schädel barsten. Fleisch wurde durchtrennt. Blut floss in strömen.
Irgendwann kam Marquis wieder zu sich. Schwer atmend starrte er auf seine Hände. Blut klebte an ihnen. Er hob seinen Kopf und sah sich um. Nur ein Wort konnte beschreiben was er in dem Moment sah: Chaos. Häuser brannten lichterloh. Überall lagen Leichen oder Teile von ihnen. Schreie drangen von überall her an sein Ohr. Die, die noch nicht tot waren, versuchten verzweifelt von ihren Angreifern zu flüchten, ihre Hände gegen ihre Wunden gepresst. Doch keiner von ihnen kam weiter als ein paar Meter, bevor sie von ihren Peinigern in die ewige Dunkelheit geschickt wurden.
Müde sah der Dämon wieder nach vorn. Er war vor einem großen Haus zum stehen gekommen. Es schien das einzige in dem Dorf zu sein, welches noch nicht lichterloh brannte. Die gelbe Farbe der Wand war an einigen Stellen schon abgeblättert und brachte das braune Holz darunter zum Vorschein. Die untergehende Sonne spiegelte sich im Fenster wieder und der Bretterzaun, der das Haus umspannte, warf lange Schatten. Das Gras des kleinen Vorgartens war herrlich grün und saftig und vereinzelt hatten sich Gänseblümchen ihren Weg an die Oberfläche erkämpft. Ein Kopfsteinpflaster trennte den kleinen Garten in der Mitte und führte direkt zur blauen Haustüre. All diese Kleinigkeiten schienen Marquis jetzt wichtiger zu sein, als das Chaos, welches ihn umgab.
Ein gelber Schmetterling huschte plötzlich an seinem Gesicht vorbei und landete nicht weit entfernt auf einem Gänseblümchen, das sich durch das Kopfsteinpflaster nach oben geschlängelt hatte. Er wirkte in dem ganzen Chaos wie ein gelber Farbklecks in einem schwarzen Gemälde. Wie in Trance blickte Marquis auf die langsamen Bewegungen, die das Insekt mit den Flügeln machte. Die lauten Schreie und das Getrampel von Füßen hinter ihm, hörte er nicht mehr. Jemand rief seinen Namen, dann wurde er grob beiseite geschubst und landete im Dreck. Niedere Dämonen und Teufel drängten sich an ihm vorbei und trampelten über das Kopfsteinpflaster hinweg. Der Schmetterling hatte keine Zeit mehr zu flüchten und wurde unter den stinkenden Hufen und Füßen zerdrückt. Die Haustür wurde brutal aufgetreten und ein Schrei war aus dem inneren zu hören… und Marquis Augen weiteten sich. Dieser Schrei… diese Stimme… Ariviel…
Sofort sprang er auf und bahnte sich seinen Weg durch die Meute zur Eingangstür des Hauses. Seine Gedanken überschlugen sich. Er war kurz davor, sich wieder in einen Berserker zu verwandeln und konnte nur mit all seiner geistigen Kraft seine Gedanken im Zaun halten. Er stieß und schubste grob die Dämonen vor ihm aus dem Weg und blockierte dann den Eingang. Er wirbelte herum und brach dem ersten Dämon, der versuchte sich ins Haus zu drängen, mit einer schon fast beiläufigen Bewegung das Genick. Die restlichen Dämonen verharrten in ihrer Bewegung und sahen ihn völlig entgeistert an.
„Wenn auch nur einer es wagt mir zu folgen, so wird er qualvoller sterben als dieses Stück Dreck hier!“, fauchte Marquis und trat nach dem leblosen Körper, welcher vor ihm am Boden lag - der Kopf in einem unnatürlichen Winkel verdreht.
Ein weiterer spitzer Schrei ließ Marquis ins Haus stürmen. Vor ihm waren drei Türen, alle geschlossen. Links vom Eingang ging eine Treppe nach oben und von dort konnte er Kampfgeräusche hören. Marquis rannte die Treppe nach oben in den ersten Stock und stand vor einer weiteren Tür, die er ohne zu zögern eintrat. Die beiden Dämonen, die mit dem Rücken zu ihm standen, warfen erschrocken ihre Köpfe nach hinten. Einen erkannte Marquis sofort: „Cyrus.“
„Marquis“, sagte sein alter Freund und lächelte ihn über die Schulter hinweg böse an. „Wir dachten schon, du kommst gar nicht mehr“, sagte der rote Teufel und drehte sich zu Marquis um.
„Ariviel!“, keuchte Marquis, als er die leblose Gestalt in Cyrus Armen sah.
„Ich wusste es!“, sagte Cyrus uns stupste dem Dämon, der neben ihm stand, mit den Ellbogen in die Rippen. „Hab ich dir doch gleich gesagt, dass sie seiner Seraphimbraut ähnlich sieht!“ Beide fingen an, hässlich zu lachen.
„Lass sie los“, zischte Marquis zwischen zusammengepressten Zähnen. Seine Augen begannen sich zu verdunkeln.
Cyrus lachte unbeeindruckt weiter. „Wieso? Du weißt doch genauso gut wie ich, dass deine Ariviel vor tausenden von Jahren den Löffel abgegeben hat!“
Er wusste es. Tief in sich und lange bevor er den jungen Menschen in Cyrus Armen sah, wusste ein Teil von ihm, dass Ariviel unmöglich noch am Leben sein konnte. Er selbst hatte sie sterben sehen. Aber ein anderer Teil in ihm, konnte nicht umher, die wunderschöne junge Frau, die dort mit blutverschmierter Stirn in den Armen dieses roten Teufels lag, anzustarren. Wie sehr sie sich doch ähnelten: Dieselbe kleine, spitze Nase, der kleine Mund, die schwarzen, kurzen Haare, ihre milchige, glatte Haut. Hatte er sich erneut verliebt?
„Lass sie los, Cyrus, dann wird dir nichts geschehen“, sagte Marquis.
Das hatte eine Wirkung auf seinen Freund. „Du stellst dich gegen mich? Gegen deinen alten Freund?“ Der dümmliche Dämon neben Cyrus lachte immer noch. Cyrus ließ die junge Frau brutal zu Boden fallen und gab dem lachenden Dämon einen harten Schlag auf den Hinterkopf. Der Dämon verstummte und rieb sich den geschlagenen Fleck.
„Du würdest gegen mich kämpfen, um einem Menschen zu helfen?“, sagte Cyrus. Sein Blick war kalt, ebenso das lächeln, dass er plötzlich aufsetzte. „Fein“, sagte er. „Mok.“ Der Dämon zu Cyrus linken sah ihn an. „Töte dieses Weib!“ Mok fing wieder an, dümmlich zu grinsen. Cyrus trat einen Schritt zurück. Der dümmliche Dämon stellte sich über die junge Frau und hob einen seiner Klauenbewehrten Füße. Anscheinend wollte er ihr einfach den Schädel zertrümmern.
Aber dazu kam er nicht mehr.
In einer für das Auge fast nicht mehr zu erkennenden Bewegung, schnellte Marquis nach vorne und durchtrennte Moks halb erhobenes Bein mit seinen Klauen. Moks Gesicht war einen Augenblick lang eine Mischung aus Schmerz, Entsetzen und Überraschung, änderte sich jedoch dann permanent in Schmerz, als Marquis in derselben Bewegung umherwirbelte und dem einbeinigen Dämon einen Tritt verpasste. Der niedere Dämon flog durch den Raum, krachte mit einem bersten durch die Außenmauer und hinterließ dort ein mannsgroßes Loch und eine Menge Staub.
Die Strahlen der untergehenden Sonne brachen durch das Loch herein. Kleine Gesteinsbrocken kieselten zu Boden und keiner der beiden Dämonen rührte sich. Sie standen sich Auge in Auge gegenüber. Zwei Dämonen aus der Unterwelt. Beide gleich stark, dass wussten sie. Beide waren seit tausenden von Jahren Freunde, und doch wären sie in diesem einem Augenblick bereit, sich gegenseitig zu vernichten. Welch Macht auch immer die Kraft hatte, dieses Bündnis zum wanken zu bringen, war den beiden in diesem Moment nicht klar. Zu schnell hatte sich ihr Leben verändert. Cyrus las in den Augen seines Freundes wie in einem Buch. Und er begriff allmählich, dass er nichts mehr ändern konnte. Er dachte an plötzlich an ein altes Sprichwort: Was geschehen wird, wird geschehen, denn die Welt wird sich weiterdrehn.
Langsam begann sich der Staub zu lichten und die Welt drehte sich weiter.
Draußen war der alles vernichtende Sturm der Dämonen noch stärker geworden, denn eine neue Partei hatte sich in den Kampf eingemischt.
„Die Seraphim kommen“, sagte Cyrus nach einer kleinen Ewigkeit.
Marquis blieb stumm. Ohne den Blick von seinem Freund abzuwenden kniete er sich hin und hob den jungen Menschen behutsam vom Boden auf. „Ich werde jetzt gehen“, sagte er schließlich. Blitz und Donner drang an ihre Ohren, gefolgt vom Gekreische dutzender Dämonen und Höllenwesen: Die Waffen der Seraphim.
„Ich weiß“, sagte Cyrus.
„Halte mir den Platz neben dem Thron dieser Welt frei“, sagte Marquis mit einem lächeln, welches nicht einmal ansatzweise überzeugend wirkte. Es wirkte eher unendlich traurig.
Cyrus lächelte nur. Ein letzter Blick in Marquis Augen ließ ihn erkennen, was er vorher schon vermutet hatte: Sie würden sich nicht mehr wieder sehen. Nicht in dieser Welt. Als Marquis mit einem letzten lächeln durch das Loch in der Mauer nach draußen Sprang und davonflog, sagte Cyrus: „Du hast schon einen Platz, den jemand für dich frei hält.“ Dann sprang auch er mit einem Kriegsschrei nach draußen und verschwand schon kurze Zeit später im Schlachtengetümmel der Dämonen.
Weit über dem Schlachtfeld schwebte Marquis. Von hier oben sahen die kämpfenden Seraphim und Dämonen wie Ameisen aus. Langsam kam die junge Frau in seinen Armen wieder zu sich.
„Keine Angst“, sagte Marquis, als die Frau erschrocken in seine Augen sah. Im nächsten Moment hätte der Dämon sie beinahe fallen gelassen, als sie kreischend versuchte sich zu befreien. „Halt still, dämlicher Mensch!“, brüllte Marquis. „Ich werde dir nichts tun!“ Die junge Frau gab sofort auf sich zu winden, was teils auch daran lag, da sie sich ungefähr hundert Meter über dem Boden befand.
Mehrere Minuten vergingen, ohne dass einer der beiden ein Wort sprach. „Warum?“, fragte sie dann plötzlich mit leiser Stimme. Mit der Stimme, die Marquis vor vielen Jahren den Kopf verdreht hatte. Der Flugwind zersauste ihre schwarzen Haare. Er sah in ihre smaragdgrünen Augen und sein eben noch wutverzerrtes Gesicht entspannte sich sofort. Mein Gott, sie hat auch noch ihre Augen…, dachte der Dämon. Laut sagte er: „Ich bringe dich an einen sicheren Ort. Dort wird dir nichts geschehen.“
Die junge Frau sah einen kurzen Moment verwirrt, doch dann leuchteten ihre Augen. „Bist du… der Liebesdämon?“, fragte sie zögernd.
Marquis runzelte die Stirn und lachte dann schallend drauf los. „Ha! Der Liebesdämon? Nennt man mich so, ja? Bei den Chaosgöttern… Ich habe es weit gebracht…“
„Kara“, sagte der Mensch.
„Wie?“
„Kara. Mein Name ist Kara.“
„Welch schöner Name“, sagte Marquis und lächelte.
Kara erwiderte das lächeln und ein warmes Gefühl breitete sich plötzlich in ihrer Magengegend aus. Wie gebannt starrte sie in die ozeanblauen Augen des Dämons. Sie versank in ihnen. Ihr Herz pochte ihr bis zum Hals und mit jedem Herzschlag näherte sie sich immer mehr dem Geschöpf aus der Unterwelt. Ihr Verstand kämpfte und schrie, doch ihr Herz hörte nicht darauf. Ihre Lippen waren von denen Marquis nur noch Zentimeter entfernt als sie plötzlich zurückschreckte und sich ihre grünen Augen vor entsetzen weiteten.
„Wa…?!“, wollte Marquis fragen, doch ein stechender Schmerz schnitt durch seinen rechten Flügel und brachten ihm zum verstummen.
Eine Seraphim schoss an den beiden vorbei, getragen von großen, blauen magischen Schwingen. In einer Hand hielt sie eine gekrümmte Klinge, von welcher rotes Blut ran.
Marquis begann zu taumeln und an Höhe zu verlieren. Sein Flügel wurde bei diesem Angriff schwer verletzt. Er hielt Kara fester umklammert und flüsterte ihr zu: „Keine Angst, ich werde dich mit meinem Leben beschützen!“ Kara schüttelte jedoch wild den Kopf. „Nein! Sie werden dich töten! Sie wollen mich retten und werden dich töten! Lass mich gehen!“ Sie begann sich wieder zu wehren, doch Marquis hörte nichts mehr. Er drückte sie fester an seinen Körper, legte seine dunkelblauen Schwingen an und schoss wie ein Blitz hinab zur Erde, auf eine kleine Lichtung eines großen Waldes zu. Die Seraphim konnte nicht mehr schnell genug reagieren, als Marquis an ihr vorbeisauste. Dennoch erwischte sie ihn mit ihrem Angriff und fügte ihm eine tiefe Schnittwunde an seinem Unterschenkel zu. Marquis stöhnte auf und versuchte noch schneller zu sein. Er zog eine feine Linie aus Blut hinter sich her, als er hinab zur Erde flog. Das zappelnde Wesen in seinen Armen ignorierte er vollkommen. Sein Kampfgeist hatte ihn wieder unter Kontrolle. Diesmal würde er nicht zusehen, wie sie seine Liebste umbrachten. Diesmal würde er kämpfen!
Weitere Seraphim erschienen hinter ihm am Himmel und nahmen sogleich die Verfolgung auf. Als Marquis nur noch zehn Meter vom Grasbewachsenen Boden trennten, breitete er seine Schwingen aus und bremste seinen Sturzflug abrupt ab. Zwei Flügelschläge später landete er sanft am Boden. Er ließ den zappelnden Menschen los, welcher sich daraufhin sofort beruhigte und ihn mit großen Augen ansah. „Versteck dich im Wald!“, befahl Marquis.
„Aber…“, wollte Kara widersprechen.
„Geh!“, sagte der Dämon. Kara zuckte zusammen. Marquis nahm ihre kleinen Hände in seine. „Ich werde sie aufhalten! Sie werden dir nichts tun.“
Kara öffnete den Mund, um ihm zu sagen, dass sie ihn töten werden, um ihm klar zu machen, dass die Seraphim sie nur retten wollten, vor ihm! Doch sie kam nicht dazu. Marquis beugte sich herab und verschloss ihren Mund mit seinem. Tausend Gedanken schossen durch Karas Kopf. Viele davon schrieen ihr zu, sie küsse gerade einen Dämon! Jemanden, der Menschen getötet hatte. Doch einige wenige, und waren sie auch in der Unterzahl, sie waren doch stärker als der Rest (vielleicht weil sie auch aus ihrem Herzen kamen), sagten ihr, sie solle sich ihm ganz ergeben. Sie solle dahinschmelzen in seinen Armen. Und so küsste sie ihn nach anfänglichem Zögern und ihr war, als fließe sie wirklich dahin. Jegliches logisches Denken schien sich in Rauch aufgelöst zu haben. Doch auch wenn es ihr wie eine Ewigkeit vorkam, ihr Kuss währte nicht lange.
Neun Seraphim landeten vor ihnen im knöchelhohen Grass. Marquis brach ihren Kuss und sah Kara tief in die Augen. „Versteck dich im Wald“, sagte er.
Langsam begann sich der Rauch in Karas Kopf wieder zu lichten. „Nein! Sie werden dich töten!“
„Nichts wird uns geschehen, meine Liebste“, sagte Marquis und strich ihr durch ihre schwarzen Haare. „Ich werde dich diesmal nicht im Stich lassen, Ariviel.“
„Ariviel? Aber mein Name ist nicht Ariviel!“ Kara wurde panisch. Sie schüttelte wild ihren Kopf „Mein Name ist…“
„Marquis!“, rief eine fremde Stimme. Der Dämon hob seinen Kopf. Eine Seraphim hatte ihn gerufen. In seinem Kopf sah er genau die Seraphim vor ihm, die seine Liebste vor tausend Jahren getötet hatte, und ihn zurück in die Unterwelt verbannt hatte. Und sein Zorn wuchs.
„Ja“, sagte die Seraphim. „Du bist es wirklich! Lange habe ich geglaubt es sei nur eine Legende.“ Die Seraphim zogen ihre Waffen und schritten langsam auf den Dämon und das Mädchen zu. „Hast du schon wieder ein unschuldiges Wesen verhext?“
„Lauf!“, sagte Marquis noch einmal und schubste Kara grob in Richtung Wald, welcher hinter ihnen in einigen Metern wieder begann.
„Aber ich bin nicht Ariviel!“, schrie Kara. Ihre Augen glitzerten im roten Licht der untergehenden Sonne. Ihre Gedanken überschlugen sich. Eben noch war sie in ihrem Haus und hatte Todesängste ausgestanden und schon im nächsten Moment stand sie hier und war dabei sich in einen Dämon zu verlieben! Vielleicht hatten die Seraphim Recht und er hatte sie irgendwie verhext. Doch als sich dieser Gedanke in ihrem Wirbelwind, welcher in ihrem Kopf im Moment tobte, hervorkristallisierte, wurde er sogleich von ihrem ruhigen Herzen wieder verdängt. Tränen flossen ihr Gesicht hinab, als sie sich zwei Dingen bewusst wurde: Erstens hatte sie sich in einen Dämon verliebt. Und zweitens war dieser Dämon dabei, sich für sie zu opfern, da er sie für jemand anderes hielt. Flehend sah sie den Dämon an und erschrak sofort. Seine einst ruhigen und unendlich tiefen Augen hatten sich in dunkle, böse und von Hass verzehrende Schlitze verwandelt. „Marquis…?“, stotterte sie.
„GEH ENDLICH!“, brüllte der Dämon. Seine Augen funkelten rot. Kara drehte sich um und rannte. Sofort sprangen vier Seraphim in die Luft und nahmen die Verfolgung auf. Marquis sprang ebenfalls vom Boden ab und packte die ersten beiden Kampfengel an den Beinen und riss sie zu Boden. Bei der Wucht des Aufschlags, brachen sie sich sämtliche Knochen und blieben tot liegen. Der Dämon wollte sich daran machen, die nächsten drei vom Himmel zu holen, doch musste er einem schnellen und spitzen Gegenstand ausweichen, welcher auf ihn zu schoss. Die Lanze verfehlte ihn nur um Zentimeter. Sein Werfer, die Anführerin dieser kleinen Gruppe und vier weitere Seraphim, kamen auf ihn zu. Jede von ihnen war mit einem großen, blauen Schwert bewaffnet. Marquis breitete seine Arme aus und seine Krallen wuchsen plötzlich um fast das dreifache ihrer früheren Größe an. Die Haut an seinen Armen verhärtete sich und wurde zu einer undurchdringlichen Panzerung. Er stieß einen unmenschlichen Schrei aus und rannte seinen Angreifern entgegen. Die erste Seraphim ließ ihr Schwert niedersausen. Schnell!, schoss es Marquis durch den Kopf. Er konnte gerade noch seinen Arm nach oben reißen, sonst hätte ihn dieser erste Schlag schon das Leben gekostet. Ich bin zu langsam! So prallte das Schwert funkensprühend an seinem Arm ab. Er schwang seinen anderen Arm nach vorne um die Seraphim aufzuschlitzen. Die Seraphim sah seinen Angriff kommen und sprang nach hinten weg.
„Du bist zu langsam, Marquis!“ rief die Anführerin der Seraphim. Sie stand hinter den vier Seraphim, welche sich vor Marquis aufgebaut hatten. „Die tausend Jahre in der Unterwelt haben dich in einen alten, schwachen Dämon verwandelt! Tötet ihn!“
Die vier Seraphim griffen wieder an. Marquis parierte Schlag um Schlag. Er bewegte sich schneller als es das menschliche Auge wahrnimmt, doch die Seraphim hielten mit. Sie umzingelten ihn. Sie hieben auf ihn ein. Immer öfter durchbrachen sie seine Deckung und fügten ihm schwere Wunden zu. Er versuchte im Gegenzug einen Treffer zu landen, doch seine Angriffe gingen alle ins leere.
Dann hörte er einen Schrei. Sofort stahl sich eine alles verschlingende Angst über den Dämon. „Ariviel!! Nein!“, schrie Marquis und ließ seine Deckung fallen. Nur für einen Moment. Einen Sekundenbruchteil. Doch mehr brauchten die Seraphim nicht: Ihre Schwerter durchbohrten Marquis Körper an vier Stellen.
Blut hustend ging der Dämon in die Knie. Blut troff aus unzähligen Schnittwunden. Blut floss aus den vier Wunden, in denen immer noch die Schwerter der Seraphim steckten.
„Nein…“, keuchte er.
„Langsam bist du geworden, Marquis“, sagte die Anführerin. Sie schritt auf Marquis zu. Hinter ihr landeten die drei restlichen Seraphim. Eine von ihnen trug eine bewusstlose junge Frau in ihren Armen. Als Marquis dies sah, wollte er sich aufbäumen, doch die vier Seraphim hielten ihn an Ort und Stelle, als sie ihre Waffen in des Dämons Wunden herumdrehten. Marquis schrie auf.
„Langsam und schwach!“, rief die Anführerin. Dann schlug sie ihn mit der Faust ins Gesicht. „Und jetzt tötet dieses Weib, denn sie ist besessen von diesem Dämon und muss sofort vernichtet werden!“, rief sie ihren Schwestern zu. Diese warfen Kara zu Boden und zogen ihre Waffen.
Nein!
„Danach bist du an der Reihe, mein Freund. Wir haben die Geschichte von dir und deiner verhexten Braut Generationen lang weitererzählt. Du hast Schande über uns alle Gebracht, als du eine von uns verhext hast!“
Nein! Er spannte sich wie ein Bogen. Die Schmerzen, die seinen Körper eben noch wie Flutwellen durchströmten, verstummten. Seine Augen begannen zu leuchten.
Die Seraphim drehte dem Dämon den Rücken zu. „Tötet sie!“
Die drei Seraphim erhoben ihre Waffen… und der wahre Dämon in Marquis erwachte mit einem markerschütternden Schrei zum Leben. Er schwang seine Arme in einem weiten Bogen und zerfetzte die vier Seraphim vor ihm wie als wären sie aus Papier.
„Was zum Teufel?“, fragte die Anführerin und schnellte herum. Das letzte was sie sah, bevor ihr Kopf neben ihren Füssen im Gras landete, waren die von Hass erfüllten Augen Marquis. Die drei verbliebenen Seraphim sahen voller Schrecken, wie ihre stolze Anführerin von einem gerade noch durchbohrten und schwer verletzten Dämon enthauptet wurde. Als sich Marquis dann auch noch ohne eine Wimper zu zucken den Schwertern, die noch in seinem Körper steckten, entledigte, nahmen die Kampfengel reiß aus.
Er sah ihnen schwer atmend nach. Sie wurden immer kleiner und verschmolzen schließlich ganz mit dem Himmel. Langsam stieg er über die Reste der Seraphim hinweg. Blut floss an seinem Körper herab und hinterließ eine rote Spur im Gras. Der letzte Strahl der Sonne erlosch, als der Dämon vor der jungen Frau auf die Knie sank.
Die Sterne erwachten am Himmel und der helle Mond sah auf sie herab. Er legte sein silbernes Licht wie eine Decke über die beiden Wesen, einem Dämon und einem Menschen. Ein warmer Wind streichelte ihre Haut. In den Büschen und Gräsern begannen Zikaden mit ihrem nächtlichen Konzert. Eine blutüberströmte, blaue Hand strich der jungen Frau im Gras vorsichtig die schwarzen Haare aus der Stirn. Kara seufzte und schlug langsam ihre Augen auf. Sie erschrak nicht, als sie Marquis vom Kampf gezeichnetes Gesicht sah. Sie lächelte. Er erwiderte das lächeln. Seine Augen waren so ruhig und tief wie ein Bergsee. Karas Hand streichelte seine Wange.
„Ich habe dich gerettet“, sagte Marquis.
Kara begann zu weinen. „Ja, dass hast du.“
„Diesmal habe ich dich gerettet“, sagte der blaue Dämon und schloss für immer seine Augen. Eine einzelne Träne lief seine Wangen hinab, viel zu Boden und vermischte sich mit seinem Blut.
Dann war Marquis frei.
In Freiheit sehen wir uns wieder.
Ariviel?
Ja, mein Liebster?
Mehr Sterne erwachten am Himmel. Zeitlose und stumme Zeugen. Sie sahen den Krieg im Osten, wie sie schon viele Kriege gesehen hatten.
Habe ich dich enttäuscht?
Nein. Niemals, Marquis. Niemals.
Sie sahen die heranstürmende Armee der Seraphim im Westen.
Ich habe sie gerettet. Ich habe für sie gekämpft.
Das hast du, Marquis. Und jetzt komm in meine Arme und ruh dich aus. Du musst nie wieder kämpfen.
Und mitten drin, sahen sie zwei Wesen, so unterschiedlich wie Tag und Nacht. Sie lagen sich in den Armen. Die schwächere Frau hielt den stärkeren Dämonen und weinte und schluchzte seinen Namen.
Du hast auf mich gewartet Ariviel?
So etwas, hatten sie bis jetzt nur einmal gesehen.
Ja. Ich würde immer auf dich warten.
So etwas, sahen sie viel zu selten in dieser Welt.
Ich liebe dich, Ariviel.
Ich liebe dich auch, Marquis.

Zuletzt bearbeitet am: 17.08.2011 22:31 Uhr.
Veröffentlich am: 18.08.2011, 09:29 Uhr
huiii da hab ich heute abend wieder viel zu lesen, sehr gut :)