Martin Ludwig
Captain
Inari 110
Angemeldet seit: 12.07.2015
Beiträge: 218
|
Das Abenteuer beginnt. Ein Abenteuer namens Filmkino. Lange Zeit haben Fans der legendären Warcraft-Reihe und Spieler des beliebten MMORPG auf den ersten, echten Film des beliebten Warcraft-Franchises gewartet. Fans hatten gebangt, gezittert und gehadert. Nach einer schier endlosen Durststrecke konnten sie endlich in Massen in die Kinos strömen und sich an den versteckten Anspielungen erfreuen oder mit den Orcs und Menschen mitfiebern. Auch Erfolgsjäger und Spaßaktivisten der Fungilde Samsara begaben sich alleine oder in Gruppen ins Kino und genossen die dynamische 3D-Handlung in heiterer Geselligkeit. Der Film ist gut, gar keine Frage, denn das Warten hat sich gelohnt. Doch wird der Film dem Original auch gerecht?
Jein, möchte ich laut ausrufen! "Warcraft: The Beginning" ist keineswegs der Versuch einer billigen Ausbeutung einer erfolgreichen Marke. Dieser Film ist mit viel Charme und Humor, Detailverliebtheit und wunderschönen Landschaften eine starke Liebesbekundung von Fans für Fans. In einigen Jahrzehnten werden wir alt und grau sein, leben auf Weltraumstationen, saugen Informationen über eine Stirnklappe direkt in unser Stammhirn auf und erzählen unseren Nachkommen mit glänzend, feuchten Augen über eine glorreiche Ära des Spielens. Eine Ära, in der wir als Draenei oder Nachtelfen durch die Lande zogen und uns als heldenhaften Champions allerlei Bösewichte in den Weg stellten. Selbst wenn WOW dereinst nicht mehr existiert, werden wir uns immer noch daran erinnern. Weißt du noch, damals, als dieser grandiose Warcraft-Film in die Kinos kam und unser Spielerlebnis perfektionierte? Das waren noch Zeiten! Genau so wird es ablaufen. Die offensichtlichen Lore-Fehler und die Mängel in der Film-Ästhetik werden wir bis dahin wieder vergessen haben.
Aber ist der Film nach künstlerischen Maßstäben wirklich gut? Nein! Versteht mich nicht falsch, ohne Zweifel kann sich dieser Film sehen lassen. Doch er ist letztlich „nur“ ein Fantasyfilm unter vielen und wird sich nur bei Fans in das kulturelle Gedächtnis einprägen, nicht jedoch bei Filmliebhabern. World of Warcraft ist das meistgespielte Online Rollenspiel aller Zeiten, ein riesiger und digitaler Abenteuerspielplatz verpackt in bunter Comic-Grafik. Der Erfolg des Online-Rollenspiels resultiert in dem Setzen von neuen Maßstäben. Als WOW jung war, gab es kaum ein vergleichbares Spiel und Blizzard konnte eine Marktlücke über Jahre besetzen. Blizzard beobachtet den Markt, passt sich an und lernt aus den Fehlern der Konkurrenz. Was funktioniert, wird adaptiert, was scheitern muss, wird vermieden. Doch der Film beweist, dass Blizzard als Trendsetter ausgedient hat und zu sehr angepasst ist. In einer Zeit, in der verwöhnte Konsumzombies mit Smartphones herumlaufen und sich jeden technischen Schnickschnack leisten, nur weil er neu ist jedoch keine praktische oder notwendige Funktionalität aufweist, konnte der Warcraft-Film nur ein buntes CGI-Spektakel werden.
Was ist nur aus dem Film als Leitkunst geworden? Einst waren Spezialeffekte mühevolle Handarbeit. Jeder Effekt war speziell auf den jeweiligen Film zugeschnitten. Im Vordergrund standen noch die schauspielerische Darstellung, eine zauberhafte Handlung mit sinnvollen Dialogen, dezidierter Charaktertiefe und moralischer Komponente. Aus der individuellen Manufaktur wurde eine simple Aneinanderreihung aus billiger Massenware und technischer Tricksereien. Filmemacher setzen heute auf sterile Studios, statt stilvollem Ambiente. Der Warcraft-Film springt auf diesen Zug auf, setzt jedoch keine neuen Maßstäbe. Halt, wird jetzt so mancher Leser schreien. Das ist doch ein Computerspiel, wie sollte die Story sonst umgesetzt werden? Als ob Warcraft nur heute umgesetzt werden könnte, dabei hätte der Film im Spiegel der Jahrzehnte einfach nur anders ausgesehen.
Ende des 19. Jahrhunderts wäre Warcraft mit Doppelbelichtungen, Split Screens oder Stop-Action und Stop-Motion umgesetzt worden. Denn mit diesen Techniken konnten erstmals Szenen erschaffen werden, die auf der herkömmlichen Theaterbühne nicht darstellbar waren. Hinzu kamen künstlerische Szenenbilder und stilvolle Kostüme. „Die Reise zum Mond“ aus dem Jahr 1902 gilt aufgrund seines Erfindungsreichtums nicht umsonst als Klassiker. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wäre eine filmische Umsetzung des Warcraft-Franchises auch interessant gewesen. Warum nicht auf eine Mischung aus Modell- und realen Aufnahmen setzen? Eine grandiose Architektur in Kombination mit simplen Spiegeltricks und echter Schauspielkunst zeichnet immerhin den Science-Fiction-Film „Metropolis“ aus dem Jahr 1927 aus. Wirklich authentisch waren Filme nur bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, ehe die digitale Tricktechnik die Kontrolle an sich riss. Wer kennt noch den Momumentalfilm „Quo Vadis?“ mit Bud Spencer in seiner ersten Statistenrolle als Angehöriger der Prätorianergarde des Kaisers Nero? Dieser Film aus dem Jahr 1951 wurde in der Nähe von Rom gedreht und benötigte 29 Hauptdarsteller, 110 Sprechrollen, 30.000 Statisten, 250 Pferde, 85 Tauben, 63 Löwen, sieben Stiere sowie zwei Geparden. Nicht schlecht für einen Film ohne CGI-Technik, denn das war noch echte Kunst als Ergänzung zum Theaterbesuch! Wem das noch zu real ist, der kann sich mit den Filmtricks aus „King Kong“ (1933) oder „Odyssee im Weltall“ (1967) beschäftigen. Rückprojektionen und Stop-Motion machten aus diesen Filmen wahre Kunstwerke. Selbst Altmeister Alfred Hitchcock setzte bei seinen Filmen auf echte Schauspieler und authentischen Tricks. Genau darum kennen und lieben wir seine Filme noch heute. Selbst die Fernsehserie „Raumschiff Orion“ von 1966 besitzt heute Kultcharakter, weil eine durchweg intelligente Handlung mit einfachen Tricktechniken ergänzt wurde. Miniaturmodelle, handanimierten Effekte, Kostüme und Dekorationen aus Kunststoff waren jedoch nie zu aufdringlich oder haben sich zu stark in den Vordergrund gedrängt. Statt aufwendiger digitaler Projektion mit CGI, hätten Kostüme und Leinwand für die Umsetzung von Warcraft völlig ausgereicht. Wem das noch zu wenig ist, weil kein Kostüm die Orcs hätten authentisch darstellen können, dem sei noch „Die unendliche Geschichte“ aus dem Jahr 1984 ans Herz gelegt. Dort wurden alle Fantasiewesen wirklich gebaut und über Puppenspieler bewegt.
All diese Filme sind fundamentale Bestandteile des kulturellen Gedächtnisses und jedem Filmliebhaber ein Begriff. Wozu aber sind eigentlich Schauspieler, wenn man sie noch so nennen kann, wie Daniel Wu oder Clancy Brown noch notwendig, wenn der Hauptschwerpunkt der filmischen Umsetzung durch einen Computer generiert wird? Vermutlich wird die sterile Technik auch darauf eine Antwort finden und menschliche Darstellkunst eines Tages ersetzen. Warcraft jedenfalls wird schon im nächsten Jahr wieder vergessen sein oder nur noch Nerds ein Begriff sein. Schade eigentlich.
Zuletzt bearbeitet am: 28.05.2016 22:14 Uhr.
|