Cavy
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Drei Runen
Irelie lehnte mit rasendem Herzen mit dem Rücken an der Tür ihres neuen, fensterlosen Zimmers. Den Schlüssel, mit dem sie soeben die Tür zweimal abgeschlossen hatte, umklammerte sie so fest in der rechten Hand, dass die frischen Wunden auf ihrem Arm zu brennen begannen. Irelie verzog ob der Schmerzen das Gesicht, entkrampfte die Hand und atmete tief durch. Die schöne, junge Frau mit dem liebreizenden Lächeln war auf der anderen Seite der Tür, nicht hier. Nicht hier. Nicht, dass das ein besonders beruhigender Gedanke gewesen wäre.
Irelie sah sich um und bemerkte eine gefüllte Waschschüssel und einen Krug Wasser, die gewiss ein Akolyt dort platziert hatte, in der Hoffnung sich möglichst wenig un sie kümmern zu müssen. Das jedenfalls schloss Irelie aus dem abfälligen Gespräch zwischen Callandra und Lorena. Tatsächlich hatte Irelie ein derart großes Bedürfnis den Dreck des Bestariums und am besten gleich der ganze letzte Woche von sich abzuwaschen, dass sie fast vergaß zuvor zu trinken. Kurz roch sie misstrauisch am Wasser, konnte jedoch nichts Ungewöhnliches feststellen. Albern. Natürlich war da nichts im Wasser! Hätte sie sterben sollen, hätte die Herrin von Schattental sie gewiss der duftenden Frau mit den spitzen Zähnen überlassen...
Irelies Kleid war vollständig ruiniert. Sie zog es aus und inspizierte es angewidert. Ein Streifen, der sie nach dem kleinen Missverständnis im Wald geknebelt hatte, war abgerissen. Risse, die sie sich wohl auf dem kalten Boden des Käfigs zugezogen hatte, zogen sich kreuz und quer durch den verdreckten Stoff. Der rechte Ärmel war zerrissen. Sie stank. Was wohl vorher in ihrem Käfig gehaust hatte? Lieber nicht drüber nachdenken. Sie würde darum bitten müssen, ihre übrige Habe aus dem Gasthaus in Dunkelhain holen zu dürfen. Gedankenverloren zog sie ihr Hemd aus und wusch Arme und Gesicht. Das Wasser wurde erst trüb und erhielt dann zügig eine ziemlich unappetitliche Farbe. Kein Rot, wie Irelie interessiert feststellte. Sie musterte erneut die drei frischen, roten Zeichen auf ihrem Arm. Das dritte und letzte brannte besonders, nachdrücklich und tief war es dort eingeritzt worden. Verräter werden nicht geduldet. Die Fingernägel der freizügig gekleideten Frau waren so ungewöhnlich sauber gewesen, dass Irelie gewiss auch keine Angst vor einer Entzündung gehabt hätte, wenn die Zeichen nicht so offensichtlich magisch gewesen wären. Die liebevoll gezeichneten Symbole waren ausgezeichnete Arbeit, eine saubere, zierliche Handschrift - fast ein Kunstwerk, wie Irelie beinahe anerkennend bemerkte.
Erweise Respekt, mehre das Wissen, Verräter werden nicht geduldet. Irelie dachte an Callandra, die Akolytin an der offensichtlich irgendwelche Tränke getestet wurden und die mit einer Beiläufigkeit von der Ver- und Entsorgung Gefolterter sprach, dass sowas wohl öfter auf dem Stundenplan stehen musste. In Gedanken fügte Irelie zwei weitere Regeln hinzu: Traue niemandem, zahle den Preis.
Bei dem Gedanken an die Folterkammer, in der sie nur gerade so einem äußerst unangenehmen Schicksal entronnen war, wich Irelie erneut die Farbe aus dem Gesicht, doch auf keinen Fall würde sie die sauberen Stiefel der jungen Frau küssen, das würde ihr wohl kaum helfen. Gut, sie zu provozieren war vielleicht auch nicht die beste Idee gewesen, aber Irelie hatte ohnehin nicht den Eindruck, dass ihr das Wohlwollen der "Lady" irgendwelche Schmerzen ersparen würde, sollte sie mal wieder dort unten landen...
"Wenn du hier überleben willst, reiß dich zusammen!", hallte Lorenas Rat in Irelies Ohren, als sie sich stöhnend auf das Bett sinken ließ. Endlich wieder Platz zum Ausstrecken. Lorena schien freundlicher zu sein als es den Anschein hatte. Irelie erinnerte sich an die fast sanfte Ohrfeige, die sie aus ihrer Ohnmacht im Wald geweckt und an die Hand, die ihr im Keller aufgeholfen hatte. Es waren fast tröstende Gedanken, auch wenn sie Freundschaft hier wohl weder suchen noch finden würde. Doch bevor Irelie in den Schlaf glitt, hörte sie eine andere, eine liebevollere Stimme, die sie zärtlich in ihre Alpträume führte. "Ja, da ist schon noch ein Paladin, aber die kleine Rose dort zu brechen hätte besonders viel Spaß gemacht..." Eine sanfte Berührung an der Wange, ein verzücktes Lächeln, das sich an den Schmerzenstränen seines Opfers labt. "Was soll der Blick? Du hast doch noch gar keinen Grund dazu." Ein duftender Atem, angenehm, wie kein Atem sein sollte. "Gesteh doch nicht gleich alles, sonst muss ich dir einfach zum Spaß weh tun und das willst du nicht. Dabei kann ich mich immer so schwer bremsen...".
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Cavy
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Endlich schlief Irelie wieder gut. Ihre Erlebnisse im Anwesen hatten nicht eben zu einem gesunden Schlaf geführt. Gelang es ihr endlich einzuschlafen, plagten sie Alpträume, die immer vielfältiger wurden und sich längst von der Dämonin mit den spitzen Zähnen emanzipiert hatten. Der Mord, den Lorena einfach so für eine Prüfung begangen hatte, hatte Irelie zugleich beeindruckt und verstört. Die Angst zu versagen folgte ihr als ständiger Schatten, gepaart mit der ebenso realen Angst einfach umgebracht zu werden. "Eigentlich habe ich nur zwei Regeln. Erweise Respekt und kenne deine Grenzen.", hatte ihre Meisterin Melassia ihr erklärt. Mit Rife, bei der Irelie wohl beide Regeln verletzt hatte, hatte sie dennoch noch immer nicht gesprochen. Sie wusste einfach nicht wie. Das war noch so etwas, das ihr den Schlaf geraubt hatte.
Doch der Schlaf umarmte sie des Nachts nun wieder liebevoll, seit sie die letzte Unterrichtsstunde zur Unterwasseratmung verlassen hatte. Lächelnd streichelte Irelie ihr Kätzchen, das sich auf ihrem ansonsten nicht sonderlich gemütlichen Bett an sie gekuschelt hatte. Einen gefährlichen Zauber würde sie an dem kleinen Fellknäuel ganz sicher nicht üben. Irelie hatte Katzen schon immer lieber gemocht als Menschen und teilte nur zu gerne ihr Zimmer. Auf der Suche nach einem Versteck für ihr Zauberbuch hatte Irelie ein loses Brett gefunden, das sie zur Seite schieben konnte. Wenn sie anschließend einen Ziegel anhob, konnte das Kätzchen sogar auf dem Dach spielen. Es war in den wenigen Tagen in seinem neuen Zuhause diesbezüglich schon viel mutiger geworden. Irelie war nicht ganz sicher, wie die Regeln für Tiere im Zimmer waren. Sie erwähnte die Katze vorsichtshalber wohl besser nicht. Mit Besuch war ja ohnehin nicht zu rechnen.
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